Kritik

Eine Übersicht über die Gesetzesänderungen hat freiheitsfoo erstellt, ebenso wie eine ausführliche Stellungnahme mit Kritikpunkten zum Gesetz.

Aufruf: Polizeistaat verhindern!

Wir sagen: Nein zum neuen Polizeigesetz in Schleswig-Holstein!

Schleswig-Holstein bekommt ein neues Polizeigesetz. Im November 2019 wurde der Entwurf der Öffentlichkeit vorgestellt. Elektroschocker, Schusswaffeneinsatz gegen Kinder und präventive elektronische Fußfesseln sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Wir halten den Gesetzesentwurf insgesamt für falsch und weite Teile nicht für verfassungskonform.

Freiheit stirbt mit Sicherheit

Die Kriminalität sinkt oder stagniert, die Gewaltkriminalität ebenfalls. Dieser Gesetzesentwurf bedient eine künstlich produzierte Angst und ist in keinem Detail eine angemessene Antwort auf reale Entwicklungen. Die Ausweitung polizeilicher Befugnisse weit ins Vorfeld eventueller Straftaten bedeutet einen massiven Verlust an Freiheitsrechten für einen nur scheinbaren Gewinn an Sicherheit. Das weitere Aushöhlen von Gewaltenteilung und Unschuldsvermutung bedeutet massive Missbrauchsmöglichkeiten. Wenn weltweit hunderttausende Menschen auf die Straßen gehen, um Mitspracherechte einzufordern und zeitgleich in Deutschland die Polizei in allen Bundesländern aufrüstet, dann weckt das bei uns Assoziationen an Aufstandsbekämpfung.

Es trifft alle!

Mit dem neuen Gesetz soll die Polizei weitrechende neue Kontroll-, Überwachungs- und Datenspeicherungsmöglichkeiten und Waffen erhalten. Wir sind uns sicher, dass sie davon auch ausgiebig Gebrauch machen wird. Und zwar erfahrungsgemäß zuerst gegen all jene Menschen, die aufgrund von Rassismus und Vorurteilen sowieso öfter von polizeilichen Kontrollen und Maßnahmen betroffen sind: Abstrakt gesprochen also die Armen, Verlierer*innen der kapitalistischen Krise, weniger Privilegierte, Ausgegrenzte, Unangepasste, Unterdrückte, Wohnungslose, aufgrund gesellschaftlicher Hetze als Bedrohung Definierte… Konkret trifft es also zuerst Migrant*innen, als „gewalttätig“ eingestufte Fußballfans und politisch aktive Menschen. Diejenigen, die sich heute gegen hohe Mieten durch Vonovia, gegen Umweltzerstörung, für bessere Arbeitsbedingungen, gegen Krieg, Bundeswehr und Nazis oder für bessere Lebensbedingungen für Geflüchtete einsetzen. Und diejenigen, die unsere Rechte während der nächsten Krise verteidigen wollen. Aber im Grunde sind wir alle gemeint. Denn weil wir permanent unter Generalverdacht stehen, kann jede kleinste Abweichung dazu führen, dass wir ins Visier des Staates geraten.

Einige der geplanten Änderungen im Detail:

Bewegungsfreiheit

Künftig könnte die Polizei Menschen, die sie verdächtigt in Zukunft Straftaten zu begehen, vorschreiben wo sie sich aufhalten dürfen (jetzt auch legal). Sie dürfte Menschen zwingen, sich dazu regelmäßig auf Polizeistationen zu melden oder ihnen (wenn sie der Meinung ist, die Personen könnten terroristische Straftaten begehen) eine elektronische Fußfessel anlegen, um sie dauerhaft zu überwachen. Damit wird Menschen, die gegen kein Gesetz verstoßen haben, die Bewegungs- und damit Handlungsfreiheit weitgehend entzogen. 

Taser

Die Polizei soll als neue Waffe Taser (Distanz-Elektro-Impulsgeräte) bekommen. Diese als relativ harmlos beschriebenen Waffen sind keineswegs so ungefährlich wie behauptet. In den USA starben schon über 700 Menschen nach Taser-Einsätzen, nach Einführung in einem Teil der BRD schon mindestens 3. Die verharmlosende Beschreibung in dem Gesetzesentwurf lässt befürchten, dass es zu vermehrten Einsätzen von Tasern kommen wird, denn die Geräte sind um einiges bequemer zu verwenden als ein Schlagstock und Waffen, die die Polizei hat, wird sie auch benutzen.

Sprengmittel- & Schusswaffeneinsatz

Nach den Entwürfen der Jamaika-Koalition werden der Polizei der Gebrauch von Sprengmitteln gegen Menschen und Schusswaffengebrauch gegen Kinder unter 14 Jahren, sowie tödliche Schüsse explizit ermöglicht. Mit Kriminalitäts-Vorbeugung oder realen Bedrohungsszenarien haben diese Änderungen des Polizeigesetzes ganz offensichtlich nichts mehr zu tun: Es geht zum einen darum, die gesellschaftliche Akzeptanz für polizeiliches Morden zu steigern. Denn an dieser Stelle wird „legalisiert“, was die Polizei aufgrund von Notstands- und Notwehr-Regelungen auch jetzt schon darf.  Wir sehen in den Änderungen die Vorbereitung von Maßnahmen gegen zu erwartende soziale Proteste. 

Überwachung

Mit dem neuen Gesetz dürfte die Polizei verdeckte Ermittler*innen zur Gefahrenaufklärung einsetzen, das heißt, dass Polizeibeamt*innen tief in die Privatsphäre von Menschen, ja sogar in deren Wohnungen eindringen dürfen, ohne deren Wissen oder auch nur eine konkrete Gefahr. Mittels Bodycams dürften zukünftig Polizist*innen jederzeit ihre Umgebung filmen und den Überwachungsdruck erhöhen. Gleichzeitig bestimmen sie, was aufgezeichnet wird, sodass die Kameras die von ihnen ausgeübte Gewalt wohl nicht aufnehmen werden. Außerdem sollen verdeckte Überwachungsmöglichkeiten beispielsweise durch Handy-Ortung ausgebaut werden.

Kontrollen

Die Polizei soll ermächtigt werden, an sämtlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs, also an allen Bahnhöfen und Autobahnen, willkürlich Menschen zu kontrollieren. Vermutlich werden durch dieses Einfallstor für Willkür noch mehr Menschen von rassistischen, erniedrigenden Polizeikontrollen betroffen sein. Zusätzlich soll die Polizei, wenn sie sich in Gefahr sieht, Personen auch gegen deren Einverständnis ärztlich untersuchen lassen dürfen – somit entzieht das Gesetz sogar das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Mehr legale Eingriffsbefugnisse verstärken zudem die Missbrauchsmöglichkeiten.

Solidarität statt Polizeistaat

Wir lehnen den Gesetzesentwurf und seine Ausrichtung als Ganzes ab und haben vielleicht noch die Möglichkeit zumindest die schlimmsten Regelungen zu verhindern, denn das Gesetz ist noch nicht verabschiedet. Lasst uns gemeinsam die Stimme erheben, Aktionen machen, unsere Kritik verbreiten und einander erklären, dass wir nur durch Solidarität mehr Sicherheit gewinnen, als es je mit einem Gesetz möglich wäre. Lasst uns zeigen, dass die Maßnahmen aus dem Gesetz viel gefährlicher für unsere Freiheit sind als der Terrorismus, mit dem das Gesetz begründet wird. Auch Rechtsextremismus lässt sich nicht mit autoritären Gesetzen bekämpfen, bei denen die mehr Macht bekommen, die Nazis seit eh und je decken, sondern mit praktischer Solidarität. Gemeinsam stellen wir uns gegen die Entwicklung in Richtung eines autoritären Polizeistaates.

Liste der UnterstützerInnen des Aufrufs